Führungskompetenz der Zukunft: Mitarbeiterführung durch Veränderungen und Zeiten der Angst

Kurzfassung: Zukunftsängste und Ängste vor Veränderungen sind unsere neue Pandemie geworden. Von Angst blockierte Mitarbeitende sind ineffektiv und stecken andere an. Dieser Artikel zeigt, warum Beruhigung und Motivation kontraproduktiv sind – und welche Strategien Führungskräften helfen, Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit im Team zu fördern.
1 | Warum Angst vor Veränderung zur Führungsaufgabe wurde
Angst vor Veränderung und eine negative Zukunftserwartung ist längst nicht nur ein privates Thema, es hat die Unternehmen erreicht und ist eine Aufgabe von Führung geworden. Zukunftsängste und Ängste vor Veränderungen sind unsere neue Pandemie geworden. Von Angst blockierte oder gelähmte Mitarbeitende melden sich häufiger krank, erledigen Aufgaben viel ineffektiver und stecken andere Kolleg*innen mit Sorge an. Auch in Change-Prozessen erleben viele Führungskräfte einen ähnlichen Effekt, dass Mitarbeitende verunsichert, blockiert oder regelrecht gelähmt wirken. Der erste Impuls ist oft, sie zu beruhigen oder zu motivieren. Doch genau das macht die Situation oft schlimmer.
2 | Warum Motivation und Beruhigung bei Ängsten nicht wirken
Beruhigung
"Das wird schon", "Das wirkt im Moment größer, als es tatsächlich ist.", "Wir sitzen alle im gleichen Boot.", "In ein paar Wochen werden Sie darüber wahrscheinlich lächeln."
Mit diesen oder ähnlichen Sätzen wird vermittelt: „Deine Angst ist übertrieben." Mitarbeitende fühlen sich nicht ernst genommen. Denn sie fühlen diese Angst, sie ist real! Die Angst wird relativiert, ohne dass die emotionale Wucht anerkannt wird. Die Botschaft soll beruhigen, wird aber oft als Abwehr oder „Nicht-Verstehen-Wollen" erlebt.
Motivation oder das Loben persönlicher Leistung
"Ich vertraue auf Ihre Kompetenz und Ihr Verantwortungsbewusstsein, deshalb bin ich sicher, dass wir gemeinsam einen guten Weg finden."
Dies verstärkt Druck und kann die Lähmung sogar vertiefen. Menschen, die Angst haben, sind blockiert in ihren Handlungen. Auch wenn sie wollen, sie können nicht die Leistung erbringen, die man von ihnen gewohnt ist. Mitarbeitende geraten so in eine Spirale von Leistungsdruck und Versagensangst. Im schlimmsten Fall kann sich durch länger andauernde Überforderung Burnout, Angststörungen oder Depressionen entwickeln.
Wenn Sie Anzeichen bemerken, ermutigen Sie Ihre Mitarbeitenden, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Signalisieren Sie, dass es ein Zeichen von Stärke ist, Unterstützung zu suchen, bevor sich längerfristige psychische Störungen entwickeln.
3 | Wie Mitarbeitende in Hilflosigkeit rutschen und blockieren
Wenn eine Führungskraft "das Gute will", aber zu falschen Interventionen greift, dann können Mitarbeitende unbewusst in eine kindliche, abhängige Position gedrängt werden, während die Führungskraft in die fürsorgliche Elternrolle rutscht und sich erschöpft und frustriert fühlt. Das Ergebnis: Hilflosigkeit statt Selbstbestimmung auf beiden Seiten.
Die Angst vor der Zukunft ist nicht einfach nur ein Gefühl, sondern eng verknüpft mit unserem Verstand und mit unserem Vorstellungsvermögen. Wir malen uns aus, was alles passieren könnte – und je mehr wir darüber nachdenken, desto größer wirkt die Bedrohung. Beruhigungstechniken helfen nur oberflächlich, weil sie das Denken nicht verändern. Und das Denken ist sehr machtvoll.
Wenn Führungskräfte diese Muster wie „Ich bin ausgeliefert." oder „Ich habe keine Kontrolle mehr." mit Beruhigung oder Motivation ansprechen, rutschen die Mitarbeitenden in eine Erinnerung zurück, als sie tatsächlich klein und hilflos waren. Diese wird als real und gegenwärtig erlebt und aktiviert sich unbewusst. Durch Beruhigung verstärken Führungskräfte das Gefühl von Hilflosigkeit und Abhängigkeit – statt sie zu lösen.
4 | Die psychologische Brille: Warum Angst so mächtig ist
Die psychischen Möglichkeiten verstehen
Unsere Ängste sind oft alte Bekannte. Sie wurzeln nach der Schematheorie von Jeffrey Young in Schemata – inneren Mustern, die aus früheren Erfahrungen entstanden sind.
Wer in seiner Kindheit erlebt hat, dass Unsicherheit gefährlich ist, reagiert auch als Erwachsener sensibler auf unklare Zukunftsaussichten.
Angst aktiviert dann nicht nur aktuelle Gedanken, sondern ganze innere Geschichten.
Deshalb wirkt sie tief in uns: negative Nachrichten koppeln sich mit unseren neuronalen Netzwerken, unseren Erfahrungsgeschichten. Sobald wir uns eine negative Zukunft vorstellen, erleben wir sie leibhaftig und real. Wir reagieren also nicht nur auf Fakten, sondern auf unsere Erwartungen.
Darum ist der Satz „Du brauchst doch keine Angst zu haben" meist kontraproduktiv: Denn wir haben sie ja! Die Angst ist in diesem Moment wirklicher als alles andere.
5 | „Wer Angst hat, hat Zukunft."
Der hypno-systemische Therapeut Dr. Gunther Schmidt hat diesen Satz geprägt. Er beschreibt damit, dass uns Angst zeigt, in Szenarien zu denken, die noch nicht eingetreten sind. Sie ist ein Hinweis darauf, dass wir den Gestaltungsspielraum der Vorstellungskraft haben – wenn wir die Energie der Angst nutzen, anstatt sie nur zu betäuben.
6 | Wie die Psyche tickt - Selbststeuerung kann man lernen
Die PSI-Theorie von Julius Kuhl beschreibt, wie unsere Psyche verschiedene Systeme miteinander verbindet: Emotionen, Motivation, Verhalten und Verstand sind ein System. Bei Angst rutscht unser Gehirn in den Analysiermodus (Lageorientierung): wir grübeln viel, handeln wenig.
Erst wenn wir es schaffen, wieder in den Selbststeuerungsmodus (Handlungsorientierung) zu wechseln, gewinnen wir das Gefühl von Handlungsfähigkeit zurück. Das Gefühl von Selbstbestimmung ist der Gegenspieler von Angst.
Angst ist also weniger ein Signal, das uns beruhigt werden will – sondern ein Hinweis, dass wir unsere Strategien überdenken müssen. Zukunftsangst schreit: „Tu etwas, um handlungsfähig zu werden!"
Bevor es uns besser gehen oder wir gelassener reagieren können, müssen wir die Angst dort packen, wo sie entsteht: im Verstand. Und genau den gilt es zu beschäftigen – nicht mit Beruhigung, sondern mit Strategien, die uns Schritt für Schritt aus der Lähmung führen.
7 | Strategien gegen Zukunftsangst bei Mitarbeitenden
Nehmen Sie die Erwachsenen-Position statt die Elternrolle ein!
7.1 | Benennen statt beschwichtigen - der Dämon verliert seine Kraft, wenn man ihm einen Namen gibt
- „Ich sehe, dass diese Veränderung Sorgen und Ängste auslöst."
- „Es ist nachvollziehbar, dass Unsicherheit Ängste weckt."
- "Im Moment ist etwas festgefahren und blockiert. Das können wir gemeinsam überwinden."
Erklären Sie den Angst-Mechanismus als dysfunktionale Form der Vorstellungskraft.
Erarbeiten Sie eine gemeinsame Handlungsstrategie, um Selbstwirksamkeit zu erfahren.
7.2 | Ebene der Gedanken – Struktur statt Grübeln und Motivation
Angst wird durch Gedanken verstärkt: Mitarbeitende malen sich aus, was alles passieren könnte. Führungskräfte können helfen, diesen Gedankenfluss zu strukturieren und die Energie, die im Verstandessystem gebunden ist, dort für andere Inhalte zu nutzen.
- Arbeiten Sie mit konkreten Szenarien: „Welche dieser Veränderungen tritt realistisch in den nächsten 6 Monaten ein?"
- Differenzieren Sie gemeinsam: „Was davon wird meine Arbeit / unser Team konkret verändern?"
- Nutzen Sie die markierten Punkte als Grundlage: „Welche dieser Veränderungen können wir beeinflussen?" "Was gehen wir morgen an?"
👉 So wandelt sich Grübeln in fokussiertes Denken – und der Verstand bekommt eine klare Aufgabe: Strategien entwickeln statt Ängste kreisen lassen.
7.3 | Ebene der Emotionen – Erfahrungen gezielt nutzen
Zukunftsangst löst starke Gefühle aus. Statt diese zu verdrängen, können Sie Mitarbeitende an bereits gemeisterte Situationen erinnern:
- „Wann standen Sie schon einmal vor einer schwierigen Veränderung?"
- „Wie haben Sie es damals geschafft, damit umzugehen?"
- „Welche Ressourcen oder Unterstützung haben Sie genutzt?"
- "Welche Ressourcen bringen Sie mit, welche liegen in unserem Team, welche kann ich persönlich für Sie zur Verfügung stellen?"
Indem Sie diese Parallelen sichtbar machen, helfen Sie Mitarbeitenden, emotionale Selbstwirksamkeit zu erleben: „Ich habe schon einmal Unsicherheit gemeistert – also kann ich es wieder schaffen. Und zwar, indem ich konkret vorgehe!"
7.4 | Ebene der Motivation – Zukunft aktiv gestalten
Motivation allein reicht nicht. Entscheidend ist, sie in konkrete Handlungen zu übersetzen:
- Fragen Sie: „Welche kleine Handlung können Sie heute tun, die uns als Team voranbringt?"
- Ermutigen Sie, Unterstützung einzufordern – sei es von Kollegen, anderen Abteilungen oder Ihnen als Führungskraft.
- Schaffen Sie wöchentliche Reflexionsmomente: „Was haben Sie, was haben wir als Team selbst gesteuert und gestaltet? Was hat sich dadurch verändert?"
- Die Veränderungen festhalten, dokumentieren und kommunizieren!
👉 So wird Motivation nicht zur Parole („Ihr schafft das!"), sondern zum aktiven Gestalten.
7.5 | Ebene der Selbststeuerung – Vertrauen stärken
Selbststeuerung entsteht, wenn Mitarbeitende erleben: „Ich habe Einfluss."
- Machen Sie die Veränderungen und Unterschiede zur Ausgangssituation sichtbar und bekräftigen Sie diese!
- Fördern Sie positives Feedback untereinander.
- Schützen Sie das Team vor destruktiven Stimmen, die Ängste verstärken. Bleiben Sie rigoros, wenn negative Stimmen versuchen, die Strategie zu torpedieren.
- Machen Sie das offen, reagieren Sie empathisch auf Rückschläge, indem Sie deutlich machen, dass Durchhalten Kraft kostet.
- Gehen Sie zurück zur Strategie der konkreten Schritte: welche Ressourcen werden gebraucht, um konstruktiv zu bleiben?
- Lassen Sie sich selbst nicht verunsichern.
Zweifel ist der Gegenspieler von Vertrauen. Als Führungskraft können Sie aktiv helfen, den Fokus zu verschieben: weg von der Idee: wenn alles gut ist oder das Äußere sich zu meinen Gunsten geändert hat, dann brauche ich keine Angst zu haben, hin zu kontinuierlichem Fortschritt des eigenen Gestaltungsspielraumes.
👉 Zukunftsangst verliert ihre Macht, wenn Mitarbeitende erleben, dass sie Schritt für Schritt selbstbestimmt handeln können.
8 | Fazit
Zukunftsangst bei Mitarbeitenden ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck von Veränderungsdruck, gleichgültig ob der Auslöser Zukunftsangst oder eine Reaktion auf Change-Prozesse ist. Führungskräfte, die mit Beruhigung oder Motivation reagieren, verstärken unbewusst Hilflosigkeit.
Die Alternative: Erwachsenen-Position und Strategien der Selbstbestimmung. So wird Angst zur Ressource, die das Team in Handlungsfähigkeit verwandelt – und Change-Prozesse erfolgreich macht.
Führungskräfte haben die Wahl: Beruhigung und Motivation als erste Reaktion auf Ängste erzeugen Abhängigkeit – konkrete Strategien auf allen Ebenen schaffen echte Selbstbestimmung.
Indem Sie Gedanken strukturieren, Emotionen anerkennen, Pläne in konkrete in Handeln übersetzen und Selbststeuerung fördern, helfen Sie Ihren Mitarbeitenden, Zukunftsangst in Handlungsfähigkeit und Vertrauen zu verwandeln.
9 | Tipps für Führungskräfte zusammengefasst
- Vermeiden Sie Floskeln wie „Alles wird gut".
- Halten Sie den Raum aus, in dem Angst offen geäußert werden darf.
- Übersetzen Sie Sorgen in konkrete Fragen und Handlungspläne.
- Erarbeiten Sie gemeinsam kleine, realistische Schritte.
- Nutzen Sie Zukunftsangst als Signal für Gestaltungsspielraum.
Unterstützung für Führungskräfte in Zeiten des Wandels
Sie stehen gerade vor einem Change-Prozess und oder merken, dass Ihre Mitarbeitenden aus Ängsten blockieren? Ich unterstütze Sie mit Team Workshops und individuellen Führungskräfte-Coachings dabei, Zukunftsangst in Selbstbestimmung zu verwandeln – und Ihr Team und Sie selbst nachhaltig handlungsfähig zu machen.
Beratungstermin vereinbaren